Hinterglaswelten von Veronika Dobers
Was ist ein Bild? Was ist Malerei? Welche Bilder sind heute möglich? Welche Bilder sind relevant? Diese Fragen werden immer wieder gestellt. Das war am Ende des 20. Jahrhunderts so und ist am Anfang des 21. Jahrhunderts immer noch so. Da gerät die massenmediale Bilderflut ins Blickfeld ebenso wie das Bild der Moderne, das nun schon immer deutlicher der Vergangenheit angehört. Die Moderne hatte klare Avantgarde- und Fortschrittsvorstellungen innerhalb eines formal definierten ‚reinen‘ Mediums. Diese Vorstellungen hatte Ad Reinhardt mit seiner Idee, das letzte Bild malen zu wollen, auf die Spitze getrieben und damit die künstlerische Bildproduktion gewissermaßen aus jedem Entwicklungsdenken herauskatapultiert.
Die gegenwärtigen Fragen nach der Funktion und nach den besonderen Eigenschaften des Bildes sind keine verzweifelten, kulturpessimistischen Fragen. Fragenstellen erhöht eher die Reflexivität gegenüber dem Bild, dessen Faszination deshalb gerade umso weniger nachläßt. Es gibt keine verbindlichen Antworten, sondern viele provisorische Antworten und undogmatische Vorschläge, die zugleich eigenwillig und allgemeingültig sind.
Die Bilder von Veronika Dobers sind solche Vorschläge. In ihnen verbinden sich Direktheit, Magie und konzeptuell-reflexive Ansätze mühelos. Sie stehen zugleich außerhalb der Zeit und in der Gegenwart. Ein entscheidender Aspekt ist dabei die Maltechnik. Die Hinterglasmalerei ist nicht gerade eine Technik von heute. Sie ist in ihrem gegenwärtigen Seltenheitswert so etwas wie ein Markenzeichen von Veronika Dobers. Die Hinterglasmalerei hat ihre Ursprünge in der Volkskunst seit dem 17. Jahrhundert. Verwandt mit der Ikonenmalerei ist sie ursprünglich eine kollektive Kunst der Überlieferung, eine Kunst des Reproduzierens, eine Kunst der Vorlagen und Vorbilder. Jedes Bild ist mit höchster Könnerschaft hergestellt, aber die Technik legt die serielle Produktion nahe. Dies kommt Veronika Dobers sehr entgegen. Denn in ihren Bildern tauchen einige merkwürdige Elemente immer wieder auf: Bündel, Äste, Haufen. Sie sind stilisiert, flächig in einer Farbe gemalt, Umrißlinien und Strichelungen in einer dunkleren Farbe deuten ihre Plastizität an. Im Fall der hier gezeigten Bilder handelt es sich jeweils um einen Haufen, der in der Bildmitte seine Dominanz behauptet.
Die Künstlerin bevorzugt den englischen Ausdruck ‚heap‘, dessen spitzer Klang widerständischer ist als beim deutschen Wort. So ein ‚heap‘ versperrt die Sicht, man könnte aber auch hinaufklettern, um die große Übersicht zu gewinnen: ein dialektisches Motiv. Zusammen mit den anderen genannten Elementen bildet der ‚heap‘ die Gruppe von „magischen Helfern“, Katalysatoren der Bildinterpretation. Je nach Kontext können sie bei einem konstant bleibenden eigenen Assoziationsspektrum in der Verbindung mit anderen wechselnden Motiven neue Bedeutung produzieren. Die Maltechnik des jeweils addierten Gegenstands – eine Schwertlilie mustergültig wie aus einem botanischen Lexikon, das nostalgische Erinnerungsphoto der Mutter, die kahle weite Landschaft und ein wie in der konkreten Poesie dinghaft verwendetes Wort – unterscheidet sich deutlich von der stilisierten Maltechnik des ‚Helfers‘ und unterscheidet damit die beiden Funktionen der Variante und der Invariante.
Die Hinterglasmalerei kehrt den ‚normalen‘ Prozeß der Bildentstehung um. Zuerst gilt es, die Kontur des Motivs zu malen, dann seine Fläche, zum Schluß den Bildgrund. Jede Etappe muß abgeschlossen sein, um die nächste zu beginnen. Nachträgliche Korrekturen sind nicht möglich. Außerdem müssen die Motive seitenverkehrt gemalt werden. All diese Eigenarten der Hinterglasmalerei machen deutlich, warum diese Technik äußerst reflexiv ist. Jeder Schritt muß gut überlegt sein. Es gibt keinen spontanten Ausdruck. Das additive Verfahren einzelner Motive, die ohne festen Stand in einem immensen grenzenlosen Bildraum schweben, erklärt die eigentümliche Stimmung, die in den Bildern von Veronika Dobers herrscht. Um das Prinzip der Addition von Disparatem noch zu verstärken, gibt es das Spiel mit dem Maßstab. Der immergleiche ‚heap‘ steht in einem völlig anderen – unrealistischem – Maßstab zum Photo, zur Pflanze, zum Wort, zur Landschaft.
„Der imaginäre Film auf den gläsernen Tafeln“ ist eine treffende Charakterisierung für die Wirkung der Hinterglasmalerei. Ungreifbar, in einem Jenseits, hinter dem (Acryl-)Glas, dessen makellos glatte Oberfläche den Blick des Betrachters auf sich zieht und ihm doch die Projektion verweigert, auch dies ist ein Effekt der Ambivalenz. Die Bilder von Veronika Dobers sind Ikonen, Trauminstrumente und emblematische Tafeln. Sie verkörpern eine Reihe von Widersprüchen. Die Motive sind sperrig-naiv, aber auch unheimlich; die Atmosphäre schulmeisterlich, aber ohne strengen Lernstoff; die Farben zuckersüß-unschuldig, aber auch ein wenig giftig. Vor dem Hintergrund der anfangs skizzierten Bilderdiskussion ist alles, was Veronika Dobers tut, hochgradig reflexiv und ambivalent verführerisch. Sie ist eine Spezialistin des Bildes und sie sucht einen Betrachter, der ihre Bilder als Instrument begreift, um seinerseits selbst zu einem Spezialist der Bildinterpretation zu werden.
Eva Schmidt
(Katalog swb, Bremen 2002)