Veronika Dobers Gedankenspiele   6.-29.11.2015  Atelierhaus Friesenstrasse Bremen  

„Die Gedanken sind frei.“

Diesem wichtigen Kernsatz des alten Liedes, dessen philosophische Idee bis in die Antike zurückreicht, würde heute wohl von Hirnforschern, Soziologen, Psychologen und Kritikern unserer Mediengesellschaft widersprochen, wobei es dabei wohl eher um die Definition des Freiheitsbegriffs geht als um die Frage nach der Beschaffenheit der Gedanken. Veronika Dobers hat sich in ihren Arbeiten mit den Gedanken beschäftigt und kommt zu einem Ergebnis, welches die Freiheit der Gedanken auf einer ganz anderen Ebene in Frage stellt, als dies gesellschaftliche Determinanten könnten.

Wichtig dabei ist, dass sie sich nicht wirklich Gedanken über die Gedanken gemacht hat, sondern diese in einem künstlerischen Prozess, in ihrer malerischen Vorgehensweise behandelt hat. Hierfür ist die Form ihrer Malweise wichtig. Ihre gegenständlichen Bilder, denen wir Figuration auch dann noch zuordnen, wenn die Bildelemente eigentlich abstrakt werden, sind äußerst klar aufgebaut. Vollkommen vereinzelte Menschen und Formen sind vor flächige Hintergründe gesetzt und erinnern in ihrer Konturlinienkonfiguration an Comicfiguren, an vereinfachende Darstellungen in Textillustrationen. Diese Assoziation wird umso stärker, wenn man sich die Wiederholung bestimmter Figuren in der Abfolge verschiedener Gemälde vergegenwärtigt.

Und dennoch zeigen ihre Bilder eine besondere Tiefe, der man sich als Betrachter nicht entziehen kann, die uns förmlich in die Gemälde und Zeichnungen hineinzieht. Während sie dies bei ihren zeichnerischen Gedankenspielen durch transparente Papiere erreicht, deren Wirkung sie teilweise durch malerische Eingriffe erhöht, entsteht der Sog in die Bilder bei den Gemälden durch die Hinterglasmalerei, die Veronika Dobers als eine Form von malerischem Negativverfahren vornimmt.

Es entsteht eine spannende Rezeptionssituation, denn wir werden zunächst wie in traditionellen Gemälden fenstermäßig hineingeführt, aber ohne dass dies mittels eines Rahmens geschieht. Sondern das Bild selbst, sein Grundmaterial erzeugt dieses Hinein- und Dahintersehen. Doch dann geschieht etwas Merwürdiges. Da, wo in gegenständlichen Gemälden seit Jahrhunderten mit malerischen Mitteln Raum und Tiefe erzeugt werden, in die wir uns mit den Augen hineinbewegen, ist bei diesen Hinterglasmalereien Schluss, sozusagen direkt an der Oberfläche. Der Malgrund, der Bildgrund liegt hier ganz vorne und dadurch ist die Bildfläche gleichzeitig Bildtiefe, sie öffnet und begrenzt in einem, was für sich keine schlechte Metapher für unsere Gedankenarbeit ist.

Es entsteht also in der Folge eine Transzendenz, die von Direktheit, Vereinzelung und Flächigkeit geprägt wird. Und genau an dieser Schnittstelle zweier scheinbar disparater Wahrnehmungsformen spielt die Kunst mit den Gedanken. Dass es auch als Spiel wirkt, ist im Übrigen ebenfalls in der Einfachheit, in der Direktheit der Figuren und der Klarheit der Linien begründet, man denkt zwangsläufig an die Illustrationen von Kinderspielen, von Anleitungen und ähnlichem. Aber diese Figuren scheinen vielfach auch wirklich zu spielen, wenn man die Weise betrachtet, mit der sie mit dem, was sich aus ihrem Kopf entwickelt, umgehen. In harmony zum Beispiel hat man neben allen poetischen Verbindungen, welche die beiden Figuren eingehen, auch immer den Eindruck eines spielerischen Bezugs, als würde einer immer eine Linie in Reaktion auf die Linie des anderen ziehen. Gedankentennis sozusagen.

07 harmony

Man sieht in diesem Gemälde explizit, dass es in den Bildern um Menschen und ihre Gedanken geht, dazu braucht man keine Titel. Dabei wird offenbar der Prozess visualisiert, so wie die Linien aus dem Kopf wachsen und daraus etwas geformt wird. In vielen anderen Annäherungen an das Thema, unternimmt Veronika Dobers jedoch einen Schritt in ihrer Beschäftigung mit den Gedanken und deren Bedeutung, Form, Verarbeitung und Freiheit, der entscheidend für ihre besonderen Beitrag zu dem Thema ist. Sie gibt dem abstrakten Konzept des Gedankens eine Gestalt oder sagen wir Gestalten, denn es sind mehrere Formen, die sie gefunden hat, die sich jedoch wiederum in einer Kategorie von Formen bewegen und erstaunlich ähnlich sind.

Wir finden viele Bündel, die in ihrer Mischung aus amorpher Form und klar begrenztem Gegenstand gleichzeitig fest – verbunden und verbindlich zudem – wie weich und formbar wirken. Ein ziemlich treffendes Bild für einen Gedanken oder ein Gedankenkonglomerat. Dazu treten jedoch auch Keile, die gelegentlich in die Köpfe der Menschen einzudringen scheinen, dazwischen treiben. In der radikalsten Verbildlichung dieser Gedankenform in beyond the horizon # 12 von 2012 verschiebt sich dadurch gleich die äußere Konturlinie der Figur, ihre Einheit wird zerlegt, was sehr treffend auf die Uneinheitlichkeit unseres Bewusstseins, unseres Denkens verweist, denn das ist natürlich – wie auch in der Aussage „Die Gedanken sind frei“ – der Ausgangspunkt des Nachdenkens über die Gedanken, wir nehmen an, dass im Denken unser Individuum, unser Sein geschaffen wird. Durch uns selbst!

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Doch da sind, wie eingangs erwähnt, Zweifel angebracht und die thematisiert Veronika Dobers nicht nur durch Keile, die sich in Köpfe schieben. In den zahlreichen Formen von Gedankenbewegungen, von Gedankenspielen, die wir in den Bildern in der gesamten Ausstellung finden, treten Gedanken in ihrer Objekthaftigkeit, Gegenständlichkeit immer wieder den Menschen gegenüber, obwohl durch Linien und teilweise auch durch die Platzierung der Gedankendinge in den Köpfen der Menschen deutlich wird, dass die Gedanken zu den Menschen gehören, dass es ihre eigenen Gedanken sind. Teilweise entstehen hier beinahe surreale Verhältnisse, in denen die sich wiederholenden Figuren mit den Gedanken umgehen, sie behandeln, verweben, sie kreisen lassen und so weiter, Gedanken zu Marionetten machen. Ohne dass diese Verhältnisse wirklich visionär oder traumhaft werden würden.

Die Merkwürdigkeit der Beziehung von Mensch und Gedanke wird noch umso eindringlicher, wenn die Figuren in den Bildern plötzlich auch Landschaften gegenübergestellt werden, bei denen es sich ebenfalls um die immer wieder ähnlichen Evozierungen von Landschaften handelt, in denen sich die Menschen ebenso verorten wie die Objektgedanken. Es könnte sich also bei der Landschaft in gleichem Maße um einen Hintergrund respektive Vordergrund handeln, wie sie auch bloß ein weiterer Gedanke sein kann, eine Gedankenlandschaft.

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Ganze Serien drehen sich genau um dieses Verhältnis, das Menschen zu ihren Gedanken haben und um deren Verortung in halb abstrakten, halb vertrauten Landschaftsandeutungen. Die Gedankenspiele von 2010 zum Beispiel, in denen der Titel dieser Ausstellung schon verwendet wurde, verhandeln es in zahlreichen Visualisierungen, die interessanterweise besonders narrativ werden. Sowohl als Serie als auch in den Einzelbildern scheinen kleine Geschichten um die Gedanken erzählt zu werden. Und sie werden in ihrer Farbigkeit zu quasi religiösen Bildern einschließlich Goldgrund. Gedankenspiele werden in allen Werken eindeutig gewürdigt.

Und selbst wenn das Ergebnis der Gedankenspiele, die Veronika Dobers vornimmt bzw. ihren Figuren zuordnet, heißt, dass Gedanken eben doch nur so lange frei sind, wie man sie als frei empfindet und als frei definiert, obwohl sie ansonsten Formen haben, die nicht unbedingt veränderbar scheinen, selbst wenn dieses niederschmetternde Ergebnis das Verhältnis von Individuum und Gedanke bestimmt, zeigt sie gleichzeitig einen Weg auf, die mögliche Freiheit der Gedanken zu erlangen.

Denn ein zentraler Aspekt ihrer Reflexion über die Gedanken ist ihr besonderes malerisches Vorgehen, das eben nicht nur unsere Rezeption beeinflusst, sondern auch ihre eigene gedankliche Annäherung, denn sie muss in der Anlage von Figur und Bildgrund umdenken, von vorne nach hinten. Ohne Frage ist mit diesem Umdenken eine Bewusstwerdung verbunden, der Malprozess wird zum Denkprozess oder vielleicht eher umgekehrt. Ihr Denkprozess ist der Malprozess.

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Auf die Spitze getrieben wird dieser Kunstdenkprozess ausgerechnet in einer Serie von weitgehend abstrakten Zeichnungen. Hier muss die Künstlerin zeichnerisch nicht umdenken, aber sie nutzt das Medium, um sich der eigenen Gedanken zu entleeren, sie, soweit das möglich ist, aus der Formgebung zu verbannen. Es ist eine meditative Übung, in der sie die kreisenden Formen, die Elipsen und Kreise erzeichnet.

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An dieser Stelle muss angesichts der Gedankenspiele darauf verwiesen werden, dass Veronika Dobers lange in Japan gelebt hat, was sich nicht nur in einigen formalen Qualitäten ihres Werkes wiederfinden lässt, wie man zum Beispiel an den drei „Bildrollen“ sieht, die sich zu transportablen, handtaschengroßen Kunstwerken zusammenfalten lassen. Die Zen-hafte Übung, die sie in ihren abstrakteren Zeichnungen vornimmt, ist ein weiterer Bezugspunkt.

Wie auch die Möglichkeit, den eigenen Gedanken doch zur Freiheit zu verhelfen, ihnen trotz aller bewussten Formfindung ein eigenes Gewicht zu geben, das sich in diesen Zeichnungen besonders im Gegensatz von schwingenden, aber eigentlich betont akkuraten Formen und geometrischen, jedoch sehr offenen Andeutungen einpendelt.

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Ich kann nur hoffen, dass dieser Prozess, den Veronika Dobers offenbart, in der Betrachtung dieser Ausstellung die Form ist, mit der Sie sich mit den Kunstwerken auseinandersetzen mögen und die Arbeiten zum intensiven Gedankenaustausch nutzen. Sie sind frei. Viel Vergnügen.