Iwami International Exhibition of Contemporary Art
“People and Nature in Tottori”
Veronika Dobers Erlebnisse in einem onsen am Japanischen Meer, 2010


Tokyo, Osaka, Kyoto – das sind Orte in Japan, von denen schon jeder gehört hat.
Aber Iwami, ein kleines Dorf in der Prefektur Tottori am Japanischen Meer, ist sicher niemandem ein Begriff. Als ich die Einladung erhielt, mich dort an einem Kunstprojekt zu beteiligen und für einige Wochen dort zu leben, war ich begeistert.  
Ausser mir nahmen 10 Künstler aus Japan und Korea teil. Meine Freude steigerte sich, als ich erfuhr, dass unter den Koreanern eine Künstlerin aus Seoul sei, die ich schon vor Jahren in Bremen kennenlernte, weil sie dort Kunst sturierte – Yunhee Huh. Was für ein wunderbarer Zufall!
Der Organisator Eiji Okubo, ein bekannter japanischer Künstler, hatte die Idee zu diesem Projekt und war auch selbst daran beteiligt. Finanziert wurde es vom japanischen Kultusministerium, unterstützt von Firmen und Privatpersonen. Das Goethe-Institut Osaka übernahm die Schirmherrschaft.

Beim ersten Informationstreffen im Winter gab der Bürgermeister von Iwami ein Essen.
Vor mir lag die Spezialität der Region, eine riesige Krabbe, viel größer als ein Suppenteller.
Das Kunstprojekt wurde vorgestellt, ebenso die Künstler und die einheimischen Helfer, pensionierte Handwerker aus Iwami. Sie fingen sofort damit an, mir zu helfen, indem sie mir zeigten , wie man eine Krabbe isst.  Das war so lustig, dass ich mich schon darauf freute, mit diesen Leuten zu arbeiten. Da ich mich aber ziemlich unbeholfen anstellte, schenkte mir der Bürgermeister sein von ihm fachmännisch seziertes Meerestier, was mir natürlich eine Ehre war.

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Dann besichtigten wir die möglichen Kunst-Orte :  Speicherhäuser, Tempel, ein verfallenes Schulhaus, ein Badehaus (auf Japanisch “Onsen” = heisse Quelle).  Ich entschied mich für das Badehaus “Iwai Onsen”.

Anfang Februar 2010 begann mein Arbeitsaufenthalt. In einem traditionellen japanischen Haus  lebte ich zusammen mit Yunhee Huh und ihrem Kollegen Jeong Il Young aus Seoul, mit dem Koreaner Choi Sukho und mit  Eiji Okubo, seiner Frau Akiko und Tochter Miyuki, die ebenfalls für das Projekt arbeiteten. Es wurde von den Gastgebern so gut für uns Künstler gesorgt, dass man sich wie in einer Familie fühlte.

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14 Tage lang habe ich nie auf einem Stuhl gesessen (rechts im Bild Yunhee).
Yunhee und ich teilten sowohl das Tatami-Zimmer als auch das Atelier, das uns gleich nebenan in einem modernen Gebäude, einem ehemaligen Hospital, zur Verfügung stand.
Morgens, mittags und abends stand ein herrliches Essen auf dem Tisch, dazwischen habe ich von 9 bis 18 Uhr konzentriert  gearbeitet. Es gab nur 2 Unterbrechungen: die Besichtigung einer Papierfabrik, in der aus der Rinde des Maulbeerbaums das handgeschöpfte Japan-Papier hergestellt wird, und ein langer Spaziergang am Meer an dem einzigen sonnigen Tag meines Aufenthalts.  Rauhes Klima ist im Winter typisch für die Küste des Japanischen Meeres.

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Im Atelier entwickelte ich meine Installation. Ich wollte auf dem Papier zeichnen, das für die Bespannung der japanischen Fenster benutzt wird. Dazu hatte ich schon vorher Recherchen angestellt und Proben gemacht.  Mein Hauptmotiv hatte ich während der ersten Ortsbesichtigung entdeckt: den Ninomiya Kinjiro.  Das ist die Figur eines Schuljungen in traditioneller japanischer Kleidung mit einer Kiepe Holz auf dem Rücken und einem aufgeschlagenen Buch in den Händen. Diese Figur kennt in Japan jeder Mensch, denn sie stand früher vor jeder Schule. Sie zog mich magisch an, denn sie sah aus wie der Kind-Mann auf meinen früheren Bildern, der in sein Buch schaut und versucht, die Welt zu begreifen.

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Nach 14 Tagen waren die Zutaten fertig: 4 Hinterglasbilder und 6 große Papierbahnen.
Einige Tage vor der Eröffnung Anfang März begann das hauptsächliche Abenteuer: der Aufbau meiner Installation “man and nature” mit Hilfe meiner Assistenten. Von links: Herr Miyawaki ( Architekt international gefragter Pferderennbahnen), Herr Sumiyama (Zimmermann) und Herr Kodani (Metall-Facharbeiter).

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Herr Sumiyama stellte sich mir auch in Englisch vor: Mr. House-Mountain.
Damit waren aber seine Fremdsprachenkenntnisse auch schon erschöpft und ich war leider der Japanischen Sprache auch nicht mächtig. So habe ich alles gezeichnet, was ich mitteilen wollte.

Wir werkelten einträchtig im Ruheraum des Badehauses. Die Papierbahnen waren sehr empfindlich und es musste mit Fingerspitzengefühl gearbeitet werden. Wir fuhren zum Materialkauf in den Baumarkt,  zum lunch ins Restaurant, und wenn wir zurückkehrten, lag manchmal nach alter Gewohnheit der eine oder andere Badegast mit nassen Haaren dort lang ausgestreckt auf der Tatamimatte.  Es machte mir Freude, daß Leute, die sonst kaum mit Kunst zu tun hatten, ein Verständnis für meine Arbeit entwickelten - und das in einer fremden Kultur.

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Nach der Arbeit gingen wir in den onsen zum täglichen Bad und danach in die kleine Bar nebenan. Herr Miyawaki brachte von zuhause selbstgefangenen Oktobus mit, den wir zum Sake verzehrten. Jeder Mann hat dort seine eigene Sake-Flasche im Regal stehen. Das “Kampai” (Zum Wohl) wollte kein Ende nehmen und die Inhaberin der Bar verwöhnte uns mit ihrer Kochkunst.

Während des Aufbaus wohnte ich neben dem öffentlichen Badehaus in einer traditionellen Herberge (Ryokan), deren Bad aus der selben Quelle gespeist wurde. Es gab einen herrlichen Rotenburo (Aussen-Onsen). Dort saß ich nachts allein inmitten eines Gartens in einem steinernen Becken. Im wohlig warmen Wasser spiegelte sich eine kleine Laterne und der knorrige Ast eines Baumes. Um meinen Kopf fächelte ein kühler Wind und ganz oben stand der Vollmond.
Märchenhaft.

Zur opening fand in der City Hall ein Symposium statt.
Der Gouverneur der Prefektur Tottori, der Bürgermeister von Iwami, der Kurator Yoshio Katoh, der Organisator Eiji Okubo, drei weitere Künstler und ich saßen auf dem Podium.  Ich erläuterte meine Arbeit und bedankte mich namentlich bei meinen Mitarbeitern, die erhobenen Hauptes im Publikum saßen.Danach wurde gegessen – Riesenkrabben.

Das waren einige meiner Erlebnisse in der Präfektur Tottori.

Japan ist aufgrund seines vulkanischen Ursprungs das Land der heissen Quellen. Es gibt tausende davon. Das Badehaus Iwai Onsen ist in dem Dorf Iwami der Ort, wo sich die Dorfbewohner täglich treffen : zum Pflegen, Entspannen und Kommunizieren. Ich dachte, als ich dort zwischen den nackten Frauen im Wasser döste, wie es wohl wäre, wenn man in Deutschland beim Klatsch mit der Nachbarin nichts anhätte. Im Onsen fielen schon immer die Standes-Schranken, die sich vorwiegend in der Kleidung manifestieren. Bis zur Öffnung Japans dem prüden Westen gegenüber (1854) badeten nicht nur Adlige und Bauern, sondern auch Frauen und Männer zusammen.
So ungezwungen war man kurzzeitig auch in Deutschland, im frühen Mittelalter.