VERONIKA DOBERS

Veronika Dobers

MAN AND NATURE

Begegnung mit Ninomiya Kinjirō am Japanischen Meer

Während meines fünfjährigen Japan-Aufenthaltes wurde ich im Februar 2010 von einem Kurator eingeladen, mich an einem Kunstprojekt in Iwami, einem kleinen Ort in der Präfektur Tottori am Japanischen Meer zu beteiligen. Außer mir nahmen zehn Künstler aus Japan und Korea teil. „Iwami International Exhibition of Contemporary Art – People and Nature in Tottori“ wurde finanziert vom japanischen Kultusministerium und unterstützt durch Firmen und Privatpersonen.

Für meine Installation Man and Nature wählte ich den Ruheraum im Onsen von Iwami, einem öffentlichen Bad mit heisser Quelle. Bei meinem ersten Rundgang entdeckte ich in einem kleinen Park am Waldrand die Skulptur des Ninomiya Kinjirō. Dieser Junge mit einem Buch in der Hand und einer Kiepe mit Ästen auf dem Rücken stand früher in Japan vor jeder Grundschule. Ninomiya Kinjirō hat wirklich gelebt. Er war als Sohn armer Bauern am Ende der Edo Periode (1787) geboren und hatte einen Lebensweg, der für die Japaner zum Symbol für Gewissenhaftigkeit und Stoizismus wurde. 
Ich war fasziniert, denn diese Figur erschien mir wie die Japanische Version eines Motivs in meinen früheren Arbeiten: der kleine Mensch mit dem Buch in der Hand, der sich wünscht, die Welt zu verstehen.

Ich besuchte eine Fabrik, in der aus der Rinde des Maulbeerbaums das handgeschöpfte Papier (Washi) gefertigt wird, das zur Bespannung der Fenster in den traditionellen Japanischen Häusern dient. Ich verwendete es für meine Zeichnungen, die ich als großformatige Papierbahnen im Ruheraum des Onsen installierte. Das Licht schimmerte durch dieses Material hindurch und hob die schwarzen Linien der Zeichnung hervor.
Außerdem malte ich drei Bilder in der Technik der Hinterglasmalerei (Öl auf Acrylglas).

Monument für einen Ast (Balance):
Ein Mensch schaut auf einen Ast, der versucht, auf einer schrägen Fläche seine Balance zu halten. Die dunkle Plattform besteht aus dem japanischen Ornament „Fundou“, das Gewicht und Gegengewicht symbolisiert. Es geht um die Balance zwischen Mensch und Natur, aber auch um die innere Ausgewogenheit des Menschen.

 

Monument für die Luft (Denken):
Die Form der goldenen Wolke ist einer Sprech- oder Denkblase entlehnt, die man aus Comics kennt. Wie Dampf oder warme Atemluft steigt sie auf von dem Ornament Matsukawabishi, dem Motiv der Pinie. Es steht in Japan für Glück und langes Leben.

Monument für einen Tropfen (Akkumulation):
Der goldene Tropfen ist ein Hinweis auf das Wasser und eine Metapher für anschwellende geistige und stoffliche Energien, die sich verdichten bis sie sich in Bewegung setzen oder bersten. Das Ornament auf diesem Bild ist das Motiv für den Berg. Die Berge hinter dem Dorf Iwami haben eine unübersehbare Präsenz. Dicht bewaldet und meistens von Nebel bedeckt, wirken sie geheimnisvoll. Nach dem Glauben der Menschen sind sie von Geistern bewohnt. Das Motiv der Bergspitzen steht für die Hindernisse, die der Mann im Boot auf seinem Lebensweg umschiffen muss.

Mit Kleiner Spruch Nr.1 vervollständigte ich meine Installation. Der alte deutsche Spruch „Bleibe im Lande und nähre dich redlich“ bezieht sich, etwas ironisch, auf meinen eigenen Lebensweg und passt ebenso auf das Thema der Landflucht, das ein Hauptgrund für dieses Projekt war. Die Kunst soll Interesse für die ländlichen Gebiete wecken, aus denen die junge Bevölkerung in die Großstädte abwandert.

Das eigentliche Abenteuer dieses Projekts war für mich die Teamarbeit mit Handwerkern des Dorfes. Sie halfen mir fachmännisch bei der Installation der großen Papierbahnen. Wir verstanden nicht die Sprache des anderen, aber mit Skizzen und Gesten unterhielten wir uns und werkelten einträchtig im Ruheraum des Badehauses. Wir fuhren zum Materialkauf in den Baumarkt, zum Essen ins Restaurant und wenn wir zurückkehrten, ruhte manchmal nach alter Gewohnheit ein Badegast ausgestreckt auf der Tatamimatte. Nach der Arbeit nahmen wir im Onsen ein Bad und gingen dann in die kleine Bar nebenan. Herr Miyawaki brachte selbst gefangenen Oktopus mit, den wir zum Sake verzehrten.

Japan ist aufgrund seines vulkanischen Ursprungs das Land der heissen Quellen. Es gibt tausende davon. Das Badehaus Iwai Onsen ist der Ort, wo sich die Dorfbewohner täglich treffen, zum Pflegen, Entspannen und Kommunizieren. Ich dachte, als ich dort zwischen den jungen und alten Frauen im Wasser döste, wie es wohl wäre, wenn man in Deutschland beim Klatsch mit der Nachbarin nackt wäre. Im Onsen fielen schon immer die Standes-Schranken, die sich vorwiegend in der Kleidung manifestieren. Bis zur Öffnung Japans dem prüden Westen gegenüber (1854) badeten nicht nur Adlige und Bauern, sondern auch Frauen und Männer zusammen. So zwanglos ging es im öffentlichen Bad auch für einige Jahrzehnte in Deutschland zu – im frühen Mittelalter.